Aufklärung ist kein Versteckspiel

Überall auf der Welt befinden sich Spuren aus der Kolonialzeit. So auch in der Schweiz. Immer häufiger wird gefordert, diese Symbole aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Doch ist das der richtige Umgang mit unliebsamer Vergangenheit?

Von Johannes Distler

Strassen, Plätze, sogar Berge sollen umbenannt, Statuen und Bilder verhüllt werden – auch in der Schweiz. Grund dafür ist häufig der koloniale Hintergrund dieser Namen und Abbildungen. Sei es das Agassizhorn, benannt nach dem Gletscherforscher Louis Agassiz, seien es einige heute als rassistisch wahrgenommene Wandmalereien in Zürich – Zeichen des Kolonialismus sind omnipräsent und gehören nach Ansicht mancher ausgelöscht.

Allein schon daran erkennt man, dass die Kolonialzeit in der Schweizer Geschichte eine Rolle spielt. Eigene Kolonien hatte die Schweiz zwar nie, deshalb ist sie auch nicht mit Ländern wie Belgien oder Grossbritannien vergleichbar. Dennoch herrschte auch hierzulande eine Einstellung passend zu Montesquieus Aussage: „Sklaven müssen sein, sonst wäre der Zucker zu teuer.“ Das galt auch für Baumwolle und andere Materialien. Durch deren Vergünstigung wegen Sklavenarbeit konnte die Industrialisierung erst so richtig Fahrt aufnehmen, wie zurzeit eine Ausstellung im Zürcher Stadthaus zeigt. Nebenbei machte man auch noch mit dem Sklavenhandel selbst beträchtliches Geld. Gerade erst wird der breiten Öffentlichkeit bewusst, wie sehr sowohl einzelne Schweizer als auch Institutionen in das Geschäft mit dem Kolonialismus verwickelt waren.

Die Frage der Verantwortung

Ausser Frage steht, dass wir für die Taten unserer Vorfahren keine Verantwortung tragen können. Doch sind wir nicht verantwortlich für die Erinnerung an diese Taten, für den Umgang mit den Hinterlassenschaften und die Aufarbeitung dieser Zeit?

Auf die Frage, wie man mit dieser Verantwortung umgehen sollte, gibt es allerdings unterschiedliche Antworten.

Dominik Waser, Gemeinderat der Grünen, findet im Gespräch, zu dem wir uns treffen, es gebe „verschiedene Wege, das Thema anzugehen.“ Man könne sagen, die Symbole gebe es, und sie seien auch Teil der Geschichte Zürichs. Dann müsse man sie aber unbedingt kontextualisieren, das heisst, ihren historischen Zusammenhang erklären. Was aber, wenn aus der Zeit gefallene Namen und Bilder entfernt werden? Auch dann hiesse das nicht, dass man daraufhin so tue, als wäre dort nichts gewesen, findet Waser. „Danach muss das Ganze dort ebenfalls kontextualisiert werden, um zu zeigen, dass da einmal etwas aus heutiger Sicht Problematisches war.“

Das sieht Heini Schwarzenbach in einigen Punkten etwas anders. Ich treffe mich mit ihm in seinem traditionsreichen Geschäft, der ehemaligen „Kolonialwarenhandlung“ Schwarzenbach im Zürcher Niederdorf. Der Laden verkaufte in seiner Anfangszeit Waren, die aus den damaligen Kolonien in die Schweiz kamen. Auch er findet, man solle „intensiv über das Thema reden“ und wirklich verletzende Dinge auch entfernen, wenn sie komplett aus der Zeit gefallen seien. Generell müsse man aber „die Darstellungen dieser Zeit im Rahmen ihres historischen Kontexts sehen und akzeptieren“.

Aus den Fehlern lernen

Eine kritische Betrachtung hält Schwarzenbach so oder so für unerlässlich. Viel wichtiger ist ihm allerdings etwas anderes: Man solle vor allem erst einmal schauen, was man in der Gegenwart gegen Ausbeutung unternehmen könne, beispielsweise bei der Lebensmittel- oder Kleiderproduktion. Gerade auch, indem man aus den Fehlern der Vergangenheit lerne: „Wir müssen Verantwortung für die Taten unserer Vorfahren übernehmen, indem wir es besser machen.“

Klar ist also: Wir müssen die Zeit des Kolonialismus auch hier in Zürich und der Schweiz aufarbeiten. Das nicht zuletzt, um ein besseres Verständnis für die Ambivalenz dieser Thematik an sich sowie der Schweizer Rolle darin zu fördern. Und gerade auch, um heutigem Rassismus, heutigen Formen der Ausbeutung und moderner Sklaverei vorzubeugen oder sie zu eliminieren. Selbstverständlich reicht die Aufarbeitung von historischen Ereignissen alleine nicht, um diese Missstände zu bekämpfen, aber sie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Aufklärung ist also kein Versteckspiel. Sie funktioniert nicht, indem man Strassen oder Plätze einfach so umbenennt, Bilder oder Statuen kommentarlos entfernt. Selbst wenn man nach einer eventuellen Entfernung noch versuchen wollte zu kontextualisieren, so wie Waser es vorschlägt: Ein Schild ohne Bezugspunkt würde ins Leere verweisen. Damit verstecken wir uns vor der eigenen Geschichte, rücken wir die Verbrechen dieser Zeit nur noch näher ans Vergessen heran. Stattdessen sollten wir genau diese kontroversen Namen und Abbildungen möglichst nutzen, um die Debatte in der Gesellschaft noch stärker anzufachen, als sie ohnehin schon geführt wird. Wir müssen solche Gegenstände an die Öffentlichkeit bringen und dabei auch kontextualisieren. Aufarbeitung funktioniert nur durch Aufklärung. Das muss uns bewusst sein. Anderswo funktioniert es auch schon: Ein 1931 erbautes „Reichskolonial-Ehrenmal” wurde in Bremen bereits 1990 erfolgreich zum aufklärenden Antikolonialdenkmal umgedeutet. Wir müssen es, nach den Worten von Schwarzenbach, besser machen als unsere Vorfahren. Doch dazu müssen wir den Kolonialismus und die Schweizer Beteiligung daran erst einmal verstehen, anstatt ihn vor uns selbst zu verstecken.

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