Wasserstoff ist keine Neuentdeckung: Seit Jahrhunderten ist er in der Forschung bekannt. Doch weshalb revolutioniert er gerade jetzt unseren Klimaschutz?
Von Ellen Bardenhewer und Polina Motina
Momentan sind 99 Prozent des in der Schweiz produzierten Wasserstoffs klimaschädlich. Die übrigen 1 Prozent brauchen viel Wasser und Strom, und beides steht nicht in allen Ländern gleich stark zu Verfügung. Kevin Sivula und sein Team an der ETH Lausanne aber glauben eine Lösung gefunden zu haben: Inspiriert von der Fotosynthese, haben sie eine alternative Methode zur Herstellung von Wasserstoff nur mit Luft und Sonneneinstrahlung entwickelt. Damit bringt man den CO2-Austoss auf null und produziert dabei den Wasserstoff sehr effizient. Könnte die Lösung für das Klimaproblem also von der Erde selbst kommen?
Anstatt reines Wasser zu spalten, versucht das Forschungsteam ein Gerät zu schaffen, das direkt Licht absorbiert und den Wasserdampf spaltet. Die Crew hat dafür Elektroden benutzt, die es zuvor in der Art nicht gab. Mit ihrer Fähigkeit, Wasser in seiner Dampfform einzufangen und die direkte Energie der Sonne aufzunehmen, erzeugen die Elektroden klimaneutralen Wasserstoff. Diese neue Technologie eignet sich demnach auch für Orte mit wenig Wasser, da die Luftfeuchtigkeit für die Elektrolyse überall hoch genug ist. In der Wüste zum Beispiel würde der Apparat vom einfachen Zugang zur Solarenergie profitieren und den Wasserstoff aus der Luft gewinnen.
Wegen des ungenügenden Gesamtwirkungsgrades ist die Leistung der neuen Technologie derzeit noch gering. Es sind noch einige Faktoren zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Langlebigkeit und Stabilität, um mit herkömmlichen grünen Technologien zu konkurrieren. «Die Weiterentwicklung hängt von alternativen Technologien und der Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe ab», sagt Sivula. Der Forscher stellt auch fest, dass eine vollständig grüne Lösung für unsere Energiezukunft immer verschiedene Technologien beinhalten wird.
Zerstören Kosten und Transportprobleme den Traum?
Die Probleme bei der Erzeugung von Wasserstoff sollten nicht unterschätzt werden. Im Vergleich zu fossilen Brennstoffen werden riesige Mengen an erneuerbaren Energieformen wie Wind- oder Sonnenenergie benötigt. Sie sind viel grösser, als wenn man den Strom direkt für Batterien nutzen würde. Deshalb ist es momentan effizienter, Wasserstoff nur dort einzusetzen, wo es unvermeidbar ist. «Es wird immer schwierig sein, die niedrigen Kosten für fossile Brennstoffe zu schlagen», sagt Sivula. Nebenbei werde das Speichern von Wasserstoff schwieriger als bei Erdgas, da der Wasserstoff Metall spröde werden lässt und enorm viel Druck benötigt wird, um grosse Mengen zu speichern. Ausserdem sei die Infrastruktur weltweit nicht genug ausgebaut, um Wasserstoff auf globaler Ebene transportieren und nutzen zu können.
Und wie zugänglich ist grüner Wasserstoff für weniger wohlhabende Länder? Der Ansatz von Kevin Sivulas Team ist es, Verarbeitungstechniken zu verwenden, die einfach exportiert werden können und nicht teuer sind. «Wir wollen, dass diese Art von Technologie sehr einfach zu machen ist, so dass jeder und jede sie mit ein paar einfachen Werkzeugen herstellen kann», formuliert der Teamleiter das Ziel.
In welchen Bereichen ist der Stoff überhaupt einsetzbar?
Die Forschung zu Wasserstoff ist zwar bahnbrechend, aber er kann nicht als Wundermittel angesehen werden: Autos oder die Heizung von Gebäuden benötigen Strom, und das wird auch so bleiben. Grüner Wasserstoff wird aufgrund des Preises nur selten eingesetzt, und solange kein billigerer Weg gefunden wird, werden fossile Brennstoffe und Benzin immer beliebter sein. Dafür wird beispielsweise bei Verkehr öfters Elektrizität eingesetzt: «Die Batterietechnologie ist sehr fortgeschritten. Batteriepreise sind enorm gesunken und ihre Lebensdauer gestiegen», erklärt Anthony Patt, Professor für Klimaschutz an der ETH Zürich.
Wasserstoff kann ein Segen für die Menschheit sein – aber er auch ein Fluch
Grüner Wasserstoff ist vollständig umweltverträglich und wird aus der Elektrolyse von Wasser gewonnen. Dabei entsteht kein CO2.
Türkiser Wasserstoff ist zu 66% umweltverträglich. Bei der Produktion aus der Methanpyrolyse entsteht fester Kohlenstoff.
Blauer Wasserstoff ist zu nur 33% umweltverträglich und wird aus der Dampfreformierung von fossilen Energieträgern gewonnen, wobei CO2 gespeichert wird.
Grauer Wasserstoff ist nicht klimaneutral. Er wird aus der Dampfreformierung von fossilen Energieträgern gewonnen und dabei gelangt CO2 direkt in die Atmosphäre.
Kerosin hingegen kann durch grünen Wasserstoff ersetzt werden, weil er für seine Nutzung keinen zusätzlichen Strom braucht. Das einzige Problem sind auch in diesem Fall die Kosten. Klare Vorteile bringt Wasserstoff aber bei der Stahlproduktion im Vergleich zur heute verwendeten Kohle: Statt schädlicher Gase würde dabei harmloser Wasserdampf freigesetzt und statt flüssigem Stahl ein fester Eisenschwamm erzeugt, der zu einer separaten Behandlung im Elektrolichtbogenofen führt. Dies stellt keine Herausforderung dar, da dieser Vorgang auch bei der Herstellung von Stahl mit Hilfe von Erdgas verwendet wird. Der einzige Unterschied ist die Klimafreundlichkeit des Wasserstoffstahls. Eine Versuchseinrichtung in Loeben, Österreich, hat mit der Erzeugung von grünem Stahl begonnen. Bis zum Jahr 2050 soll mit Hilfe von Wasserstoff ausschliesslich CO2- freier Stahl produzieren werden.
Wie kann die Umstellung funktionieren?
Eine Umstellung auf grünen Wasserstoff ist durchaus möglich, jedoch noch nicht attraktiv genug:Dass zurzeit nur rund ein Prozent des gesamten Wasserstoffs mit erneuerbarer Energie gewonnen wird, hat vor allem mit den Kosten zu tun. Für die Industrie heisst das, dafür zu sorgen, dass der grüne Wasserstoff nicht sehr viel teurer ist als sein umweltschädlicherer Doppelgänger, der graue Wasserstoff. Für Anthony Patt gibt es dafür nur zwei Wege: Man könne einerseits die momentan verhältnismässig niedrigen Preise für die CO2-Emissionen deutlich erhöhen, so dass der Zuschuss dem Preisunterschied von Grau zu Grün entspricht. Die andere Möglichkeit wäre es, wie beim Energiegesetz von 2018 die Kosten auf die Bevölkerung zu verteilen, sodass die Preise niemandem stark auffallen.
Ersteres würde zu einer Erhöhung der Preise führen, was wiederum die Schweiz wirtschaftlich unattraktiv machen könnte. Auf dem zweiten, bereits bekannten Weg wird zusätzlich auch vermieden, dass Schweizer Unternehmen ihre Produktionen ins Ausland verlagern, um hohen Steuern und Gesetzen zu entkommen. Auch hier spielt das Forscherteam aus Lausanne mit seiner Entdeckung als dritte Möglichkeit eine wichtige Rolle.
Netto-Null bis 2050
Die Schweiz, die EU und viele andere Länder haben bereits ein deutliches Ziel festgelegt: Bis 2050 wollen sie klimaneutral sein. Aus rein wissenschaftlicher Sicht könnte man laut Kevin Sivula auch direkt auf grüne Energie umsteigen und somit Netto-Null erzeugen: Die Probleme liegen weiterhin beim Geld und bei der fehlenden Handlungsbereitschaft, die man vor allem durch Gesetze erzwingen könnte. Jedoch müssten dies alle Länder gleichzeitig tun, um die Wirtschaft nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Trotzdem ist für ihn eine stetige Verbesserung auf dem Weg zur Klimaneutralität auf jeden Fall schon nach jetzigem Stand erreichbar. Wie auch Anthony Patt aus Sicht der Klimaschutzforschung erklärt: Wenn bis 2030 3 Prozent des aktuellen Wasserstoffs grün wird, können wir durch das exponentielle Wachstum unser Ziel von 100 Prozent problemlos erreichen. Allerdings: Selbst wenn es Sivula und seinem Team gelingt, den Wasserstoff billiger zu produzieren, werden die Forschung, der Bau von neuen Maschinen und die Umwandlung der Industrie nicht wenig kosten. Pratt sieht das jedoch nicht als Hürde: «Alle Gelder, die wir für unser Klima ausgeben, sind Investitionen in die Zukunft, die sich mehr als auszahlen werden», erklärt der Professor. Da sich das Problem nicht von selbst löse und Energie nicht billiger werde, müsse sich die Investition früher oder später lohnen. Beide Experten sind der Meinung, dass die Forschung bereits genügend fortgeschritten sei, um bis 2050 Netto-Null zu erreichen. Auch wenn Sivulas Produkt nie auf den Markt käme, hätte sein Team ein neues Feld in der Wissenschaft eröffnet: Nach seiner Einschätzung entsteht in diesem Bereich ein Wettkampf, der Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt noch stärker dazu anregt, Preise und Effizienz stetig zu optimieren. Man darf also hoffen, dass diese Konkurrenz zu einem Fortschritt führt, der unseren Planeten retten hilft.