Für 520 Millionen Franken im Jahr will die Stadt Zürich unter anderem ihre Strassen vom Autoverkehr befreien. Trotz klarer politischer Mehrheit verstummt die Kritik am Projekt nicht.

Netto-Null – ein Rettungsanker oder verschwendetes Geld?

Für 520 Millionen Franken im Jahr will die Stadt Zürich unter anderem ihre Strassen vom Autoverkehr befreien. Trotz klarer politischer Mehrheit verstummt die Kritik am Projekt nicht.

Von Salomon Hürlimann und Moritz Kupper

Parkplätze verschwinden, Hauptverkehrsachsen werden verlangsamt und der Strom wird teurer: Dies sind für viele die negativen Folgen des Netto-Null-Plans der Stadt Zürich, und trotzdem hat ihn das Stimmvolk letztes Jahr mit 75% Ja-Anteil angenommen. Dennoch bleibt dieser kostspielige Plan politisch wie auch rechtlich umstritten – ebenso wie das Vorgehen der Klimaschützer. Für den konkreten Weg zu Netto-Null nämlich gibt es eine Bilderbuch-Version und eine realistischere Einschätzung.

Bei den Emissionen unterscheidet man zwischen direkten und indirekten. Die direkten sind jene, die innerhalb unserer Stadt ausgestossen werden, etwa im Autoverkehr und in jedem Haushalt. Die indirekten Emissionen sind die grauen, die in der ganzen Welt für unsere Güter und Produkte entstehen.

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir vor allem die indirekten Emissionen in den Griff bekommen, da laut städtischer Website drei Viertel der Emissionen der Zürcher Bevölkerung nicht in der Stadt entstehen. Dies will die Stadt mit einer besseren Kreislaufwirtschaft erreichen: Diese beruht auf dem System, dass man Verpackungen, alte Kleidung und andere Güter wiederverwendet, indem man entweder die Materialien oder gleich die ganzen Produkte weiterbenutzt. Am meisten Potential, direkte Emissionen einzusparen, haben Gebäude, Verkehrsmittel und die Energieversorgung. Bei all diesen Bereichen geht es um die Steigerung der Effizienz. Weniger Energie für den gleichen Konsum ist also die Idee.

Teuer, schwierig – aber machbar?

Das Ziel von Netto-Null ist nicht, keine Emissionen zu verursachen, sondern gleich viele Emissionen einzusparen, wie wir ausstossen. Wenn wir unseren Ausstoss nicht reduzieren, müssen wir unrealistisch viel CO2 entweder mit riesiger Aufforstung kompensieren oder mit einer Technologie der Luft das CO2 entziehen und dieses im Boden speichern. Beides wird bereits getan, trotzdem müssen wir auch unseren Ausstoss senken.

Um das Ziel zu erreichen, braucht Zürich ca. 430 Millionen Franken pro Jahr und in der Anfangsphase zusätzliche Investitionen in Höhe von rund 90 Millionen pro Jahr. Zürich verspricht, mit diesen 520 Millionen schweren Investitionen nicht nur die Klimaziele zu erreichen, sondern auch das lokale Gewerbe zu fördern und damit die Lebensqualität zu steigern. Die Kosten werden von der Wirtschaft, der privaten und öffentlichen Hand getragen. Langfristig gesehen, wird Zürich ökologischer, die Innenstadt leiser und von Autos befreit. Die Frage, ob dies das viele Geld wert ist, kann noch niemand beurteilen. Klar ist, dass die Wirtschaft beeinträchtigt wird und die Kosten zum grössten Teil über Steuergelder finanziert werden. Ob es zu einer Steuererhöhung führt oder ob an anderen Stellen eingespart wird, ist auch unklar.

Aber ist das Ziel Netto-Null bis 2040 überhaupt realistisch? «Es kann erreicht werden», sagt uns dazu Markus Keller, der Geschäftsleiter des städtischen Projekts «Klimastadt Zürich»: «Es muss einfach der politische Wille bestehen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen mitmachen, sonst funktioniert es nicht.» Ebenfalls müssen seiner Meinung nach viele Vorgaben vom Staat kommen. Sie würden nicht durch die Polizei kontrolliert, doch sollten Vorschriften zur Häuserisolation befolgt und Bewegungsmelder installiert werden, sodass Lampen zuhause zum Beispiel nicht unnötig brennen. Trotz der klaren Zustimmung durch das Stimmvolk im letzten Jahr glaubt der SVP-Politiker Stefan Urech, dass beispielsweise die Einschränkungen beim Autofahren früher oder später zu einer Verminderung der Akzeptanz bei der Bevölkerung führen werden.

Radikale Klimaschützer

Umgekehrt gibt es Kreise, denen fast jedes Mittel recht zu sein scheint, um die Klimaziele durchzusetzen: In Zürich gibt es regelmässig Demonstrationen, die durch die Behinderung unseres Alltags unausweichlich unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Gefordert werden dabei weniger Autos in der Stadt, eine höhere Fahrradfreundlichkeit und weniger CO2-Emissionen. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung allerdings beschränkt seinen Beitrag zum Klimaschutz darauf, während dieser Proteste im Stau zu stehen, wenn auch natürlich nicht freiwillig.

Markus Keller von Klimastadt Zürich preist jedoch die Klimademonstranten: „Die Bewegung von jungen Menschen hat sehr viel verändert. Es ist unbestreitbar, dass man definitiv lösungsorientierter vorgeht, seit die jungen Leute auf die Strassen gehen.“ Selbst die radikaleren Methoden der Klimademonstranten lehnt er nicht ab, was einigermassen überraschend ist für einen städtischen Angestellten. Vielmehr sagt er, dass es jedem Menschen freistehe, sich in die Gefahr einer Anzeige zu begeben – auch wenn er das selbst sicher nicht täte. Doch das Risiko ist nicht immer gleich gross. Den Klimademonstranten drohen Bussen in Höhe von 1 bis 10‘000 Franken, doch argumentieren sie vor Gericht oft, sie befänden sich in einem Notstand wegen des Klimawandels. Verblüffte Richter wissen nicht, wie sie mit dieser Antwort umgehen sollten. Der Strafrechtsprofessor Marcel Niggli bringt Licht in die Angelegenheit: Der Klimawandel, so ernst das Thema auch sei, sei kein Notstand, betont er im Gespräch. Es bestehe momentan keine direkte Gefahr dadurch, weshalb die Klima-Aktivisten seiner Ansicht nach wie alle anderen Vandalen bestraft werden sollten.

Klar scheint, dass nur mit der Aufmerksamkeit das Ziel noch lange nicht erreicht wird. Jetzt müssen Veränderungen folgen. Die Velodemos in Zürich gibt es schon seit gut 30 Jahren, was beweist, welch mühsamer Prozess es ist: Der Organisator der Velodemonstrationen in Zürich, Stefan Bruderer, berichtet, dass die Fortschritte nur Stück für Stück erreicht werden. Stefan Urech von der SVP wertet die spärlichen Auswirkungen dieser Velodemonstrationen etwas anders: „Wir Bürger machen die Regeln beziehungsweise unsere gewählten Vertreter. Wir entscheiden über unsere Regeln, und jemanden zu verärgern, ist deshalb bloss ineffizient.“

Hinzu kommt, dass der Zürcher Stadtrat seit 30 Jahren von Roten und Grünen dominiert wird – und trotzdem hat sich nichts Substanzielles verändert. Allerdings hat sich der Prozess in den letzten Jahren beschleunigt durch die ganze mediale Aufmerksamkeit und das Gewicht, das auf Themen rund um den Klimaschutz gelegt wird. Dennoch meint Stefan Bruderer: «Die entscheidende Veränderung lässt noch auf sich warten.» Dazu passt die Aussage von Markus Keller, dass man auf grosse Veränderungen immer lange warten müsse.

Netto-Null, eine moderne Religion?

Stefan Urech äussert sich im Gespräch allgemein sehr kritisch über das Netto-Null-Konzept der Stadt Zürich. Er glaubt, dass dieses Ziel weder 2040 noch 2060 oder 2100 sinnvoll sei und man sich lieber auf die Wirtschaft fokussieren sollte. Auf den Klimawandel müsse man weiterhin ein Auge haben, doch alles diesem Thema unterzuordnen, sei «schon fast religiös». Jedenfalls sei das nicht der richtige Weg für Zürich, er sei weder durchdacht noch innovativ. Den Atomstrom abzustellen, um dann wesentlich weniger ökologischen Strom aus dem Ausland zu importieren, könne nicht richtig sein. Also möchte er das «Denkverbot» rund um den Atomstrom aufheben, das Thema mit der Entsorgung der atomaren Brennstäbe unseren Hochschulen überlassen und auf eine innovative Lösung warten. Zudem würden wir unsere Ressourcen besser im Ausland einsetzen, womit wir einen wesentlich grösseren Einfluss auf das globale Klima hätten.

Urech ist auch sehr skeptisch, ob der jetzt schon überlastete ÖV alle aufnehmen könnte, die heute noch mit dem Auto unterwegs sind. Als Velofahrer findet er zudem, dass man bis auf wenige Knotenpunkte wie dem Bellevue, dem Central und dem Bucheggplatz, um die sich die Stadt besser kümmern sollte, hier mit diesem Fortbewegungsmittel sicher unterwegs sein könne. Und den Autoverkehr zu verbannen, sei nicht richtig, da ein autofreies Zürich sehr viele Komplikationen mit sich brächte und die Wirtschaft enorm schwächen würde. Im Gegensatz dazu lehnt Stefan Bruderer von den Velodemos die Zusammenarbeit der Verkehrsteilnehmer ab, weil er die Sicherheit der Fussgänger oder Velofahrer nicht gewährleistet sieht in einer Stadt, in der man Auto fährt.

Urech wiederum kritisiert die Temporeduktionen auf den Hauptverkehrsachsen: Die 30er-Zone bei der Rosengartenstrasse zum Beispiel bringe nichts, da ein Stau sowohl in der 50er als auch in der 30er Zone entstehen könne und werde. Der Weg über die Rosengartenstrasse verlängert sich beim Wechsel von einer 50er auf eine 30er-Zone um 2 Minuten. Schon bei 30 Autofahrern entspricht das einer ganzen Arbeitsstunde, welche in der Wirtschaft fehlt. Doch Markus Keller sieht das anders: Er erklärt uns, dass die Umstellung den Verkehr nicht verlangsamen, sondern sogar flüssiger laufen lassen werde. Darüber hinaus sei die Schweiz sowieso eines der wirtschaftlich stärksten Länder, da könne man auch mal etwas für die Umwelt tun.

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