Brian Keller: Schwerkrimineller oder Opfer des Justizwesens?

Bernard Rambert, einer von Brian Kellers Anwälten, spricht über die seit Jahren andauernde Kontroverse rund um den «Fall Carlos».

Brian Keller in seiner Gefängniszelle. (Illustration: Tages-Anzeiger, Robert Honegger)

Brian Keller hat schon für viele Schlagzeilen gesorgt. Von 2006 bis 2011 beging er insgesamt 32 Delikte und wurde später für diese verurteilt. Mit 12 Jahren kam er in Isolationshaft und konnte monatelang seine Eltern nur hinter Plexiglas sehen. Nach einer erneuten Verhaftung wurde er in einer Wohnung isoliert und später in ein «richtiges» Gefängnis verschoben. Jetzt, nach jahrelanger Haft, ist er wieder auf freiem Fuss. Er verfolgt eine Profiboxer-Karriere. 

Ist Brian Keller ein Schwerkrimineller, wie es seine Strafakte vermuten lässt? Oder ist er viel eher ein Opfer des Justizwesens – so sehen es nämlich seine Unterstützerinnen und Unterstützer.

«Kein Mensch sollte so behandelt werden»

Bernard Rambert, einer seiner drei Anwälte, spricht von einer «unmenschlichen Behandlung», die dem damals Jugendlichen widerfahren sei. Rambert wurde von ein paar Jahren von Brians beiden anderen Anwälten hinzugezogen, weil er über viel Erfahrung mit Mandanten verfügte, denen eine schlechte Behandlung durch das Justizwesen widerfahren war. Rambert findet bis heute, dass kein Mensch je so von der Justiz und dem Straffvollzug behandelt werden sollte wie Brian Keller. Der Anwalt beschreibt seinen Mandanten als humorvollen, sympathischen und offenen Menschen, der sehr darauf fokussiert sei, sein Ziel zu erreichen: Boxweltmeister werden.

Brian Henry Keller wurde 1995 in Paris geboren und wuchs in Zürich auf. Im Alter von 12 Jahre beging er sein erstes schweres Gewaltdelikt. Er stach einem 18-Jährigen mit einem Messer zwei Mal in den Rücken. Er wurde als Jugendlicher verurteilt und im Jahr 2013 zum ersten Mal als Erwachsener.

Schweizweite Bekanntheit erlangte er, nachdem das Schweizer Fernsehen seine Situation in einer Reportage schilderte. Daraufhin veröffentlichte der «Blick» einen Artikel, in dem das Massnahmensetting für Keller als eine Verhätschelung von Straftätern und eine Verschwendung von Steuergeld dargestellt wurde. Schweizweit zogen andere Medien nach – der «Fall Carlos» war geboren. Brian Keller wurde in der Medienberichterstattung häufig auf einen «Messerstecher» reduziert. Die Tatsache, dass die Massnahme nach Ansicht des zuständigen Jugendanwalts sehr positiv verlief, ging weitgehend unter.

Der öffentliche Druck auf das Justizwesen wuchs so lange, bis Brian Keller verhaftet und in Einzelhaft gesteckt wurde. Er hatte jahrelang keinen physischen Kontakt zu anderen Menschen.

Welche Strategie wählten seine Anwälte?

Dass gleich drei Anwälte einen Mandanten verteidigen, ist ungewöhnlich. «Der Fall war extrem aufwendig und allein hätte ich das niemals bewältigen können», sagt Rambert.

Bernard Rambert, einer der Anwälte von Brian K. (Foto: Fototeam Realgymnasium Rämibühl)

Brian Kellers Geschichte war durch die Medien schon sehr bekannt geworden, aber ausschliesslich in einem schlechten Licht. Aufgrund der verfahrenen Situation und der Negativberichterstattung entschieden sich die Anwälte für den Gang an die Öffentlichkeit. «Wir wendeten uns an die UNO und die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter. Wir mobilisierten Journalisten, um auf die schwierige Haftsituation aufmerksam zu machen.» Laut Rambert war ein Teil der Strategie der Anwälte, Druck auf das Justizwesen auszuüben.

Zur Strategie gehörte auch, den als «Carlos» bekannt gewordenen jungen Mann unter seinem echten Namen Brian Keller ins Licht zu rücken, um ihn sympathischer werden zu lassen.

Puff auf Tiktok

Brian Keller kam vor Kurzem frei. Zuletzt sorgte er für Schlagzeilen, weil er in den Sozialen Medien auf sich aufmerksam machte. Wegen eines eskalierten Streits auf Tiktok eröffnete die Staatsanwaltschaft eines neues Verfahren, diesmal wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit.

«Das war nicht sehr geschickt von ihm», sagt Rambert, aber er gibt zu bedenken: «Brian muss sich zuerst nach den vielen Jahren in Haft an sein neues Leben gewöhnen. Er braucht Zeit, um sich zurechtzufinden.» Abgesehen von dieser Auseinandersetzung geht Rambert davon aus, dass Brian Keller in Zukunft nicht mehr in Konflikt mit dem Gesetz geraten wird.

Steht Rambert noch mit ihm in Kontakt? Ja, sagt der Anwalt, sie hätten sich gesehen, aber nicht häufig. «Im Moment ruht unsere Arbeit. Wir werden aber in Berufung gehen. In zwei, drei Jahren wird es ein Verfahren vor dem Zürcher Obergericht geben, in dem verschiedene Verfahren zusammengefasst werden.»

Artikel: Liam Scherer

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