Sie blockieren Strassen und wollen damit das Klima retten. David Appel von Renovate Switzerland erklärt, warum er und seine Mitstreiter weiter auf zivilen Ungehorsam setzen.
Es ist Karfreitag. Der Verkehr auf der A2 liegt lahm. Sieben Aktivistinnen und Aktivisten der Klimaorganisation Renovate Switzerland haben sich auf der Autobahn vor dem Gotthardtunnel festgeklebt. Sie fordern mehr politische Massnahmen gegen den Klimawandel. Hunderte Ferienreisende, die über Ostern in den Süden fahren wollen, sind erzürnt. Es kommt zu Wutausbrüchen. In einem im Internet zirkulierenden Video beschimpfen die Autofahrerinnen und Autofahrer die Aktivisten und entreissen ihnen die Plakate. Schliesslich werden die Protestierenden von der Polizei festgenommen und abtransportiert.
Die Blockade löst ein riesiges, internationales Medienecho aus. Über 130 Presseartikel werden, nach Angaben von Renovate Switzerland, in kurzer Zeit über diese Protestaktion veröffentlicht. Die Klimaorganisation wertet das als massiven PR-Erfolg. Im Kommentarbereich der Artikel oder auf Twitter zeigt sich aber ein anderes Bild. Dort werden die Aktivistinnen und Aktivisten beschimpft, teilweise erhalten sie Gewaltdrohungen. Der Grossteil der Bevölkerung scheint kein Verständnis für solche Aktionen hat.
Wütende Autofahrer, tobende Kommentarbereiche – bringt das Renovate Switzerland im Kampf für mehr Klimamassnahmen wirklich weiter?
David Appel, Pressesprecher von Renovate Switzerland, sagt: «Unsere Strategie ist es, durch gewaltfreie Stör- und Protestaktionen Druck auf die Politik auszuüben.» Aktionen wie die Gotthard-Blockade würden starke Emotionen erzeugen und Appel ist überzeugt: «Sie regen Debatten an und bringen uns weiter.»
Der zivile Ungehorsam
Solche Protestaktionen gehören in die Kategorie des zivilen Ungehorsams. Renovate Switzerland beruft sich dabei auf das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Es ist juristisch umstritten, ob die Klimaaktivisten mit einer Blockade einer Strasse illegal handeln. So spricht das Bezirksgericht Zürich regelmässig Aktivistinnen und Aktivisten frei und das Obergericht verurteilt sie in der nächsten Instanz.
In der Vergangenheit erreichten Aktivistinnen und Aktivisten ihre Ziele durch zivilen Ungehorsam. So etwa die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die Schweizer Frauenrechtsbewegung oder die Widerstandsbewegung um Mahatma Ghandi. Auch Renovate Switzerland hofft, mit ihren Aktionen erfolgreich zu sein.
David Appel bietet der zivile Ungehorsam die Möglichkeit seine Verzweiflung auszudrücken, wenn alle demokratische Mittel erschöpft sind. «Ich habe Unterschriften gesammelt, Initiativen eingereicht und abgestimmt, doch der Fakt bleibt: Mit dem heutigen Tempo der Politik wird die Klimakrise nicht gelöst werden, wir werden weitere Ziele verfehlen und künftigen Generationen ein riesiges Problem aufbürden.»
Die Dringlichkeit der Klimakrise
Die Klimaaktivisten berufen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Im Jahr 1824 forschte der renommierte Wissenschaftler Joseph Fourier erstmals zum Treibhauseffekt. 1988 wurde der IPCC gegründet. Das Intergovernmental Panel on Climate Change hat das Ziel, Regierungen über den Klimawandel aufzuklären und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. 1990 erschien der erste IPCC-Bericht, welcher die Tatsache des menschengemachten Klimawandels bewies und vor den verheerenden Folgen von Untätigkeit warnte.
Der sechste, im Jahr 2021 erschienene IPCC-Bericht schätzt es als sehr unwahrscheinlich ein, dass das Ziel des Pariser Abkommens erreicht wird, einen Temperaturanstieg von 1.5 Grad Celsius zu verhindern. Gemäss Wissenschaftlern werden bald Kipppunkte, wie das Kollabieren des Golfstroms oder das Schmelzen der antarktischen Eisschilde überschritten sein. Dann werde die Klimakrise nicht mehr aufzuhalten sein.
Trotzdem bleiben die Methoden der Renovate-Switzerland-Bewegung für viele kontrovers. Obwohl laut dem SRG-Sorgenbarometer 33 Prozent der Bevölkerung mehr gegen den Klimawandel unternehmen wollen, fühlen sich 51 Prozent von den Aktionen der Klimakleber gestört. Durch ihre Aktionen verspielt sich Renovate Switzerland offenbar Sympathien.
Appel entgegnet: «Unsere Strategie beruft sich auf historisch erfolgreichen Bewegungen. Um etwas zu erreichen, müssen wir stören. Wir müssen den Finger in diesen wunden Punkt drücken und dazu gehört leider auch, dass wir uns unbeliebt machen.»
Mut zum Handeln
Natürlich sei es richtig, wenn die Menschen privat etwas gegen den Klimawandel machen – weniger Fleisch essen, aufs Fliegen verzichten oder auf Autofahrten. Das Klimaproblem sei in erster Linie aber ein «Systemproblem». «Die massive Verschwendung und den nicht nachhaltigen Umgang mit Ressourcen kann man eigenhändig nicht verhindern. Es braucht politische Massnahmen.» Man nenne dies den «Carbon Handprint». Der positive Einfluss, den man so auf die Milderung des Klimawandels habe, gehe weit über den eigenen Verzicht hinaus. Das sei für Appel viel wichtiger als der oft genannte Carbon Footprint.
Renovate Switzerland fokussiert sich beispielsweise politisch auf die thermische Sanierung von Schweizer Häusern. Das soll bis 2030 geschehen und ist mit sehr hohen Kosten verbunden. Gemäss Appel sei dies eine lohnende Zukunftsinvestition. Einerseits würde man Heizkosten sparen und weniger Treibhausgase ausstossen. Andererseits entstünden so Anreize für die Baubranche und Jobs. Auf lange Sicht wäre dies ein Gewinn für alle, sagt Appel. Der Bundesrat müsse aber Hausbesitzer dabei stärker unterstützen und zusätzliche Fachkräfte ausbilden.
Der Wissenschaft zufolge ist die Klimakrise ein bedrückendes Problem, welches umgehend gelöst werden muss. Doch, ob Aktionen der Klimaaktivisten mehr als nur Aufmerksamkeit und Emotionen auslösen, ist unklar. Renovate Switzerland zeigt sich keineswegs entmutigt. Offensichtlich habe man das perfekte Protestmittel noch nicht gefunden. Darum würde die Gruppierung weiter experimentieren und gewaltfrei Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema erzeugen. Appel sagt: «Wir müssen die Zukunft unserer Kinder und der des ganzen Planeten retten. Nichts tun ist für mich keine Option.»