Kletterhallen boomen – doch was steckt dahinter?

Klettern wird immer mehr zum Trendsport. Was hinter dieser Entwicklung steckt und wie das Produkt entsteht, das Kletterhallen so erfolgreich macht.

Klettern: Ein Spiel zwischen Kraft, Balance und Körperbeherrschung. (Foto: Alexander Leibundgut)

Ein Griff, gerade mal so gross wie die Fingerkuppen. Tritte so klein, dass man sie nur mit speziellen Kletterschuhen belasten kann. Und das alles in 15 Metern Höhe. Für Aussenstehende ist kaum vorstellbar, dass sich jemand an solchen Griffen festhalten kann. Doch Silvan lässt es kinderleicht aussehen, dank jahrelangem Training, mehrmals in der Woche. So auch heute. An diesem Montagabend ist das Kletterzentrum Gaswerk Schlieren rappelvoll. Silvans erster Satz, als er wieder am Boden ist: «Das sind huere geili Züüg!»

Was macht eine gute Route aus?

Hinter dem, was für den 16-jährigen Zürcher Silvan eine fünfminütige Herausforderung ist, steckt viel Arbeit. Fast einen Tag verbringt ein Routenbauer für eine neue Route in den Seilen. Zuerst schraubt er verschiedene Griffe der gleichen Farbe an die Kletterwand, dann die entsprechenden Tritte. Fast immer muss danach auch noch die Orientierung der Griffe verändert werden, um den gewünschten Schwierigkeitsgrad zu erreichen. Oliver Walder, Chefroutenbauer im Gaswerk, sagt: «Eine Route zu schrauben, ist eine extrem kreative Arbeit. Die Route muss möglichst interessant und abwechslungsreich sein, egal auf welcher Schwierigkeitsstufe.»

«Eine Route zu schrauben ist etwas extrem Kreatives», sagt Oliver Walder. (Foto: Alexander Leibundgut)

Von der Hallenleitung vorgegeben sind für die Routenbauerinnen lediglich die Griffe und die gewünschte Schwierigkeitsstufe. Abgesehen davon sind der Kreativität der Routenbauer keine Grenzen gesetzt. 

Wichtig sei schliesslich einfach die Qualität der Route, so Oliver Walder. «Wir schrauben ein Produkt an die Wand und die Kunden kommen wegen dieses Produktes zu uns», sagt er weiter.

Was eine «gute» Route ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen muss eine Route vor allem auch in niedrigeren Schwierigkeiten möglichst abwechslungsreich sein. Zum anderen soll die Route für Menschen möglichst aller Körpergrössen kletterbar sein. Die Abstände zwischen den Griffen dürfen also kein limitierender Faktor sein.

Oliver Walder, Leiter Routenbau im Kletterzentrum Gaswerk. (Foto: Alexander Leibundgut)

Nach dem Testen der Route wird für die Bewertung die französische Schwierigkeitsskala verwendet. Diese geht bis in den neunten Grad. Die schwerste Route im Gaswerk Schlieren ist eine 8b+, ein Grad, den man auch durch jahrelanges Training nicht erreicht, wenn man das nötige Talent nicht hat.

Ein regelrechter Boom

Routenbauerinnen und Routenbauer sind gefragter denn je. Jede Woche finden sich auf den sozialen Medien zahlreiche Ausschreibungen von offenen Stellen. Denn: Kletter- und Boulderhallen boomen. Allein im Raum Zürich sind in den letzten Jahren drei Boulderhallen und eine Kletterhalle eröffnet worden.

Mittlerweile sind vor allem das Indoorklettern und Bouldern – seilfreies Klettern auf Absprunghöhe – zum Trendsport geworden. Während die Hallen früher nur dazu dienten, das Klettern am Fels zu trainieren, hat sich Indoorklettern inzwischen als eigene Kategorie etabliert. Gründe dafür gibt es zahlreiche. Laut Oliver Walder vom Gaswerk Schlieren hängt das auch damit zusammen, dass es in der Halle möglich ist, immer grössere und angenehmere Griffe einzusetzen, während am Fels die Natur die Vorgaben macht.

Viele Kletterinnen und Kletterer schätzen an ihrer Sportart die grosse Vielfalt an Bewegungen und das Spiel zwischen Kraft, Balance und Körperbeherrschung. «Man macht nie die gleiche Bewegung zwei Mal, genau deshalb macht das Klettern so viel Spass«, ist meist die erste Antwort, wenn man sie danach fragt, was genau das Besondere an ihrem Sport sei. 

Eine der ältesten Hallen der Schweiz

Das Gaswerk Schlieren feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Als es im Jahr 1994 eröffnet wurde, war es erst die zweite Kletterhalle der Schweiz. In mehreren Bauetappen entstand eine der grössten Kletterhallen der Schweiz: über 300 Routen und 250 Boulder sind es heute. 2021 wurde mit dem Gaswerk Wädenswil die dritte Halle der Kletterzentrum Gaswerk AG eröffnet. Mit rund 500 Routen zählt es zu den weltweit grössten und modernsten Anlagen. 

Feiert das 30-jährige Jubiläum: das Kletterzentrum Gaswerk Schlieren. (Foto: Alexander Leibundgut)

Zurück ins Gaswerk in Schlieren. Zwei Tage nach seinem ersten Versuch der Route, klammert sich Silvan wieder mit aller Kraft an den kleinen Griffen fest. Die komplizierten Bewegungsabläufe hat er sich eingeprägt, fast mühelos klettert er Griff für Griff und Tritt für Tritt in Richtung Topgriff, dem letzten Griff und Ziel einer jeden Route. Wenige Augenblicke später hat er die Route durchgestiegen, ohne Pause und nur aus eigener Muskelkraft. Als er wieder unten ankommt, ist ihm die Freude ins Gesicht geschrieben. Und der erste Satz ist einmal mehr: «Läck du mir, sind das geili züüg!»

Artikel: Philipp Schlauri

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